... das heisst wagen, in jedem Moment zu sterben, aber ebenso wagen, geboren zu werden, das heisst, durch große Etappen in unserem Leben zu gehen, wo das stirbt, was wir gewesen sind, um etwas anderem Platz zu machen, einer neuen Sicht der Welt - all das in dem Eingeständnis, das es viele Stufen zu überschreiten gibt, bevor wir zur letzten Phase des Erwachens gelangen.

nach Arnaud Desjardins

Sonntag, 23. Mai 2010

I am sailing, i am sailing...

... Home again, cross the sea.
I am sailing, stormy waters,
To be near you, to be free.

Es ist Montagmorgen, die Stimmung an Board ist ausgelassen bis aufgeregt. Wir alle sind ebenso gespannt wie freudig, Neuseeland hinter uns lassen zu koennen und Kurs aufs offene Meer zu nehmen. Gestern Abend habe ich vom Kaeptain erfahren, dass die Ueberfahrt mit 1300 Seemeilen, mindestens 10-14 Tage in Anspruch nehmen wird. Die Laenge der Ueberfahrt hat mich dann doch ein bisschen eingeholt, aber meine Freude ist nicht zu uebertreffen. Das Wetter ist gut, die Crew ist komplett, wir legen ab. Fuenf Minuten spaeter finde ich mich hinter dem Steuerruder wieder und lenke das Boot sicher aus dem Hafen.


Kaum haben wir die Bucht verlassen, werden beide Motoren ausgeschalten und die Segel werden gehisst - denn ab jetzt bestimmen nicht mehr Motorenkraefte unsere Reise, wir werden die naechsten Tage und Wochen von Wind, Meer, Wellen und Naturgewalten gelenkt.


Zwei Stunden spaeter. Nach einem schoenen Sonnenuntergang auf Deck sehe ich die Lichter der Stadt hinter mir verschwinden. Immer kleiner und kleiner bis nur noch ein Leuchten in der Ferne sichtbar zu erkennen ist. Der Wind bleast maessig bis schwach, 2-3 Knoten - irgendwie habe ich mir die ganze Sache ein bisschen schwungvoller vorgestellt. - Und ja, es wir schwungvoller- vor allem fuer meinen Magen :-( Es ist ein flaues Gefuehl, langsam aber stetig. Erschoepfung macht sich breit. Die darauf folgenden Detail erspare ich euch lieber! Ich bewege mich zwischen Salon und Reling, Uebelkeit - Erbrechen - Ausruhen - Uebelkeit - Erbrechen - Ausruhen. Ein nicht endender Kreislauf und kein Weg hinaus... Fast drei Tage liege ich nahezu bewegungslos im Salon. Nichts ist schlimmer, als der lange Weg zur Toilette und zurueck. Jeder Wellenbewegung scheint fliessend in meinen Koerper ueber zu gehen. Das Boot und mein Koerper scheinen fuer mich Eins zu sein, hin und hergerissen auf dem wilden Ozean. Die See um uns herum ist rau. Die Wellen bis zu vier Meter hoch und unser Catamaran scheint umherzutreiben wie eine Streichholzschachtel in einer wilden Badewannne. Hier draussen ist alles anders und ich realisiere meine Nichtigkeit inmitten dieser Naturgewalten von Neuem.

Segeln, das bedeutet Achtsamkeit in jeder Minute. Ausschau halten vor anderen Schiffen, die Navigation ueberwachen, Segel kontrollieren, Winde einschaetzten - Sicherheit in jedem Detail. Fuer die Crew heisst das "watching" 24h nonstop. Jede Schicht drei Stunden, dann wird gewechselt. Geschlafen wird im 5 Stunden Rhytmus.

Das Wetter schlaegt um. Sturm fuer die naechsten Tage. Der Kaeptain entscheidet einen unplanmeassigen Halt auf einer kleinen Inselgruppe einzulegen. Ich fuehle mich wie Robinson Crusoe als wir in die kleine Bucht einlaufen. Und dann ist es wie in einem Film; Delphine schwimmen zum Boot und heissen uns willkommen!


Nach fuenf Tagen hat sich der Sturm gelegt und mit ihm meine Uebelkeit. Mein Koerper erholt sich langsam und ich fange an wieder zu essen. Der Anker wird eingeholt, wir lassen die kleine Insel hinter uns. Weitere 600 Seemeilen liegen vor uns. Mit jedem Tag gewoehne ich mich mehr und mehr an die staendigen Bewegungen des Bootes. Wetterabhaengig, mal besser, mal schlechter gelingt es mir, Zeit an Deck zu verbringen und ein Stueckchen Frieden zu finden mit der Naturgewalt Wasser. Wir alle wuenschen uns Fiji baldmoeglichst herbei, denn frische Lebensmittel sind laengst aufgebraucht, wir sehnen uns nach Vitaminen, Protein und Naehrstoffen. Die Zeit vergeht nur langsam und der Wind blaest leider nicht ueppig, sodass der Kaeptain wiederwillens immer wieder die Motoren anwerfen muss. Noch einen Tag und einen weiteren und dann endlich - Land in Sicht! Nach 17 langen Tagen auf See erreichen wir Fiji!


Segeln, das ist alles und viel mehr von dem, was man sich vorstellt. Auf engstem Raum mit unbekannten Menschen, absolut abhaengig von den Naturgewalten Wasser und Wind, vertrauen in Skipper und Boot, leben in absoluter Achtsamkeit mit Lebensmitteln und Wasser, keine Dusche, keine frischen Nahrungsmittel, dein Koerper in staendiger Bewegung. Segeln, das ist Leben unter extremen Bedingungen und extremer Belastbarkeit.

Segeln, das ist alles und viel mehr, von dem was man sich vorstellt. Wasser, so weit das Auge reicht, in den Sonnenuntergang traeumen, die Stille und Energie in sich aufnehmen, der Morgensonne entgegenfiebern, sich verbunden fuehlen mit dem Kosmos. Ein Stueck Schoepfung naeher begreifen, ein Stueck Frieden in sich finden.